Herbst 1914. Ost(mittel)europäische Gesellschaften auf dem Weg in den Krieg

Herder-Forschungsrat
Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen
Tübingen
27.11.2014 - 29.11.2014

Jahrestagung des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates in Kooperation mit dem Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde und dem Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen, Tübingen

27.-29. November 2014

Der Große Krieg veränderte die europäische Landkarte – und dabei gerade die Welt Ost(mittel)europas – entscheidend und bis in die Gegenwart nachhaltig. Die multi-nationalen Imperien sind an dessen Ende zerfallen, neue Staaten sind an ihre Stelle getreten, Grenzen wurden verändert und dadurch die komplexen Beziehungen von ethnischen Mehr- und Minderheiten neu gestaltet. Die Vorkriegszeit wurde damit schnell und endgültig zur "Welt von gestern" (Stefan Zweig). Und doch lohnt es sich, in vergleichender und interdisziplinärer Perspektive die Zeit des Kriegsbeginns – genauer: den Herbst 1914 – ins Visier einer eigenen Tagung zu nehmen.

Dass dabei der ost(mittel)europäische Raum ins Zentrum gerückt wird, hat zum einen mit einem weiterhin dominanten Interesse am westeuropäischen Kriegsschauplatz, zum anderen aber mit dem originären Forschungsfeld des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates zu tun, der die "Erforschung des östlichen Europa in europäischen Bezügen unter historischen, sozialwissenschaftlichen und kulturellen Fragestellungen" zur Aufgabe hat.

Ziel dieser Tagung ist es daher, die ost(mittel und südost)europäischen Gesellschaften 1914 selbst näher ins Visier zu nehmen. Der „Herbst“ 1914 stellte – so die Ausgangsthese – einen wichtigen „Kippmoment“ dar. Denn aus der quer über die Kriegsfronten geteilten Erwartung eines schnellen Sieges wurde ein langandauernder Krieg, der die Menschen – nicht zuletzt durch das Kriegsgeschehen bzw. den jeweiligen Kriegseintritt – freilich ganz unterschiedlich betreffen sollte. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie ihr Weg in den Krieg war, welche Ängste und Sorgen sie mit diesem verbanden, welchen Hoffnungen und Visionen sie an ihn knüpften? Kurz: Welche Zukunft erträumten bzw. befürchteten sie im Angesicht eines schnell "total" werdenden und alle Erfahrungen dramatisch sprengenden Krieges?

Die politische, soziale, kulturelle, religiöse und ethnische Vielfalt in Ost(mittel)europa lässt diesen „Kippmoment“ jedenfalls höchst unterschiedlich erscheinen. Er wird in der Tagung besonders mit dem Blick „von unten“ – mit der Perspektive veränderter Alltage – ins Visier genommen. Dabei werden Antworten auf folgende Fragen zu geben sein:

Als erste Fragerichtung bietet sich an, den sich schnell verändernden Alltag der Menschen in Ost(mittel)europa näher zu betrachten. Wie veränderte sich die Arbeitswelt, der Zusammenleben in Stadt und Land, aber auch: Wie wurden aus jungen Männern Soldaten? Wie veränderte sich somit die Alltagswelt in Richtung einer omnipräsenten "Kriegskultur"?

Eine zweite Fragerichtung führt direkt in die Diversität ost(mittel)europäischer Gesellschaften. Wie verstanden nationale Mehr- und Minderheiten den Krieg? Wie reagierten spezifische religiöse Gruppen (etwa Juden, Muslime, andere Minderheiten) auf den Kriegsbeginn? Wem galten Loyalitäten? Wie wirkten Feindbilder?

Wie reagierten schließlich – als dritte Fragerichtung – Künstler und Schriftsteller auf den Krieg? Welchen Beitrag leisteten Wissenschaftler zum ihm? Wie verstanden und legitimierten sie diesen? Verbanden sie mit dem Krieg sogar eigene Forschungsprojekte?

Die Tagung des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates zielt daher bewusst auf die dichte Beschreibung von ganz unterschiedlichen Alltagen und ist bewusst interdisziplinär angelegt und ladet Kolleginnen und Kollegen aus der Geschichte, der Wirtschaftswissenschaft, der Geographie, der Literaturwissenschaft, der Judaistik und der Volkskunde zur Teilnahme ein.

Programm:

Donnerstag, 27.11.2014

Ort: Fürstenzimmer/Schloss Tübingen

18.00-19.30
Begrüßung

Christoph Cornelißen (Frankfurt/M.):
Die West- und Ostfronten des Ersten Weltkriegs. Parallelen – Gegensätze – Beziehungen

Freitag, 28.11.2014

Ort: Fürstenzimmer/Schloss Tübingen

09.00-10.00
Carl Bethke (Tübingen):
Sarajevo 1914 „von innen“. Erwartungen und Vorstellungen bei Konfessionsgruppen und Minderheiten am Beginn des Krieges

10.00-11.00
Bernhard Bachinger (Graz):
Zwischen Krieg und Frieden: Albanien, Bulgarien, Griechenland und Rumänien als neutrale Balkanstaaten 1914

11.00-11.30
Kaffeepause

11.30-12.30
Josef Wolf (Tübingen):
In Frontnähe. Spannungen und Risse im interethnischen Zusammenleben am Beispiel des Banats

12.30-14.00
Mittagspause

14.00-15.00
Frank Hadler (Leipzig):
Im Geflecht von Gedicht und Gefecht: tschechische Dichterstimmen aus dem Kriegsherbst 1914

15.00-16.00
Mariana Hausleitner (Berlin, München):
Kriegsbeginn in Czernowitz: Erwartungen und Reaktionen

16.00-16.30
Kaffeepause

16.30-17.30
Christoph Mick (Warwick):
Galizische Verwirrungen: Von der Schwierigkeit zwischen Freund und Feind zu unterscheiden

17.30-18.30
Piotr Szlanta (Warschau):
Zwischen Hoffnung und Furcht: Polnische Kriegserwartungen 1914

19.00-21.30
Mitgliederversammlung des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates
Ort: Ludwig-Uhland-Institut/Ausstellungsraum

Samstag, 29.11.2014

Ort: Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde

09.00-10.00
Andreas Lawaty (Lüneburg):
Der Große Krieg erahnt, erfahren, gedeutet: Literarische und intellektuelle (Auto-)Biographien in Ostmitteleuropa um 1914

10.00-11.00
Reinhard Johler (Tübingen):
"Der Prophet musste nicht zum Berg gehen, der Berg kam zum Propheten". Wissenschaft, Krieg und das Studium der Völker Osteuropas

11.00-11.30
Kaffeepause

11.30-12.00
Mathias Beer (Tübingen):
Besonderheiten des Kriegsbeginns in Ostmitteleuropa. Eine Zusammenfassung

12.30-13.00
Abschlussdiskussion

Weitere Informationen Prof. Dr. Reinhard Johler » reinhard.johler@uni-tuebingen.de

Programm