Ethnizität als Analysekategorie der Ostmitteleuropaforschung

Herder-Forschungsrat
Marburg
06.12.2013 - 07.12.2013

Jahrestagung des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates, Marburg

6.-7. Dezember 2013

Anknüpfend an seine vergangenen Jahrestagungen zu „transnationalen Regionen“ und „transnationalen Verflechtungen“ will der Herder-Forschungsrat seine Reihe von inter­disziplinären Erörterungen zentraler Konzepte und Kategorien der Ostmitteleuropafor­schung fortsetzen. Dabei sollen der Begriff und das Konzept Ethnizität als Analysekate­gorie unterschiedlichster Wissenschaften und als längst populäre gesellschaftliche Deu­tungsebene im Vordergrund stehen.

Die Erforschung von Ethnizität, pluriethnischen Verhältnissen und interethnischen Be­ziehungen zählt gewiss zu den dominierenden Themen der geistes- und sozialwissen­schaftlichen Beschäftigung mit Ost(mittel)europa. Während Nation, Nationalität und Nationalismus mittlerweile als historisierbare soziale Konstruktionen betrachtet werden, scheint das für Ethnizität nicht in gleichem Maße zu gelten. Trotz der namentlich von Fredrik Barth 1969 ausgelösten Debatte über die Konstruktion von ethnischen Identitä­ten durch Abgrenzungen ist oftmals noch die Überzeugung anzutreffen, dass es sich bei Ethnizität um eine essentialistische, Gesellschaft und Kultur präfigurierende Tatsa­che handle. In einer kritischen Perspektive – sie ist etwa von Marcus Banks Mitte der 1990er Jahre verfolgt worden – werden aber Relevanz und epistemologischer Nutzen von Ethnizität als Kategorie der Geistes- und Sozialwissenschaften bestritten. Ähnliches gilt dann auch für interethnische Beziehungen im Gegensatz zu Kulturtransfers, trans­nationalen Beziehungen etc.

Unabhängig von dieser Kritik lässt sich gleichwohl insgesamt feststellen, dass es wei­terhin Bereiche gibt, in denen Ethnizität häufig und oft unhinterfragt als Analyse- oder Referenzkategorie verwendet wird: Das gilt etwa für urbane Räume, für Imperien, aber auch für „Volkskulturen“ sowie für vormoderne Migrationen ebenso wie für die Behaup­tung von kollektiven Identitäten oder die Austragung moderner Konflikte (ethnic cleansing).

Wenn Ethnizität als endogene oder exogene Konstruktion methodologisch in die Schranken verwiesen werden kann, dann folgt daraus jedoch die Frage, welche episte­mologischen Kategorien an ihrer Stelle heranzuziehen sind. Diskutiert werden dabei Mehrheit und Minderheit oder Hegemonie und subalterner Status. Doch zu fragen bleibt, inwieweit mit diesen Begriffen analytische Probleme gelöst oder nicht doch nur verschoben werden.

Ziel der Jahrestagung ist es daher, diese Fragen mit Beiträgen aus der Geschichts- und der Kulturwissenschaft, der Politologie, Soziologie und Geographie zu erörtern.

Programm

Freitag, 6.12.2013

14.00-14.30 Reinhard Johler (Tübingen), Jörg Hackmann (Stettin): Begrüßung und Einführung

14.45-15.30 Boris Nieswand (Tübingen): Ethnizität. Im Zwischenraum von Soziologie und Ethnologie

16.00-16.45 Sebastian Kinder (Tübingen): Ethnizität als Kategorie der Geographie

16.45-17.30 Peter Haslinger (Marburg): Ethnizität als Kategorie der Geschichtswissenschaft

17.30-18.00 Felix Heinert (Köln): Ethnizität als Problem der jüdischen Geschichte in Osteuropa

18.00-18.45 Diskussion

19.30 Mitgliederversammlung des Herder-Forschungsrats

Samstag, 7.12.2013

9.00-9.30 Christian Lübke (Leipzig): Ethnizität als Problem der mittelalterlichen Geschichte Ostmittel­europas

9.30-10.00 Andreas Helmedach (Bochum): Ethnisch-religiöse Zusammengehörigkeit als Versicherung: Netz­werke armenischer Kaufleute zwischen Ostmitteleuropa und Westasien in der Frühen Neuzeit

10.00-10.30 Mathias Beer (Tübingen): Ethnizität als Kategorie der Forschung zu deutschen Minder­heiten in Ostmitteleuropa

11.00-11.30 Steffen Höhne (Weimar): Kulturkritik in der Prager Moderne. Zur Formulierung und Formierung von Ethnizität und Identität

11.30-12.00 Alfrun Kliems (Berlin): Das Spiel mit dem Ethnos. Diskursives Abkommen, narzissti­scher Differenzfetischismus oder Pop in Reinkultur? Der Club der Polnischen Versager

12.00-13.00 Schlussdiskussion

Kontakt: Prof. Dr. Jörg Hackmann » joerg.hackmann@univ.szczecin.pl